Die Kraft ist eine motorische Fähigkeit, die es dem Sportler ermöglicht Widerständen entgegenzuwirken (konzentrisch), sie zu halten (isometrisch) oder ihnen nachzugeben (exzentrisch). Von Kraft spricht man erst, wenn die Muskeln mindestens 30% ihrer maximalen Kraft einsetzen müssen. Es existieren unterschiedliche Kraftarten:
Abbildung 1: Kraftarten
1. Maximalkraft
Die höchstmögliche Kraft, die vom neuromuskulären System willkürlich gegen einen Widerstand realisiert werden kann wird als Maximalkraft bezeichnet. Die Maximalkraft darf nicht mit der Absolutkraft gleichgesetzt werden. Die Absolutkraft ist höher als die Maximalkraft. Sie kann unter supramaximalen, exzentrischen Bedingungen realisiert werden. Deshalb wird die Absolutkraft auch als exzentrische Maximalkraft bezeichnet. Es gibt 2 Gründe warum die exzentrische Maximalkraft höher ist als die isometrische Maximalkraft:
- Durch Dehnung von Sehnen und Muskeln kommt es zu einer zusätzlichen neuronalen Aktivierung (Dehnungsreflex)
- Zusätzlich zur Muskelkraft wirken in exzentrischer Situation passiv-elastische Kräfte des Muskel-Sehnen-Systems (z.B. der Muskelfaszien)
Die Differenz zwischen willkürlicher (isometrischer) Maximalkraft und Absolutkraft wird als Kraftdefizit bezeichnet. Die Abbildungen 2 und 3 verdeutlichen diesen Zusammenhang. Durch explosives Maximalkrafttraining lässt sich das Kraftdefizit verringern, nach Bührle (1985) von mehr als 30% auf ca. 5-10%. Die Ursachen für die Verringerung des Kraftdefizits sind:
- verbesserte Rekrutierung: mehr motorische Einheiten werden zugeschalten
- verbesserte Synchronisation: mehr motorische Einheiten werden gleichzeitig aktiviert
- Verbesserung von Volition und Motivation
Abbildung 2: Kraft-Geschwindigkeits-Beziehung nach Komi (1994)
Abbildung 3: Zusammenhang von Maximalkraft, Absolutkraft und Kraftdefizit
1. 1 Statische und dynamische Kraft
Bei der statischen Kraftentwicklung halten sich äußere und innere Kräfte die Waage. Die Muskulatur kontrahiert, verkürzt sich aber nicht. Beispiele im Sport sind der Kreuzhang an den Ringen sowie der Handstand.
Bei der dynamischen Kraftentwicklung kann wie folgt unterschieden werden:
- konzentrische Kraftentwicklung: äußere Kraft wird überwunden, Ursprung und Ansatz des Muskels nähern sich an
- exzentrische Kraftentwicklung: äußere Kraft übersteigt inner Kraft, Ursprung und Ansatz des Muskels entfernen sich
1.2 Relativkraft
Die Relativkraft gibt das Verhältnis zwischen Maximalkraftleistung und Körpermasse an. Vor allem in Sportarten, in denen das eigene Körpergewicht beschleunigt werden muss (z.B. Gerätturnen und Sprinten) ist die Relativkraft eine entscheidende Größe. Wird die Körpermasse reduziert, so erhöht sich die Relativkraft bei gleichbleibender Maximalkraft. Ziel in diesen Sportarten ist es deshalb oft (bei optimalem Gewicht) die maximale Muskelkraft zu erhöhen, ohne an Gewicht zu gewinnen. Hierfür eignen sich vor allem das intramuskuläre Koordinationstraining (IK-Methode) sowie ein Schnell- und Reaktivkrafttraining.
Abbildung 4: Arten des Krafttrainings (inkl. Ausdauer) und ihre Trainingsbereiche
2. Kraftausdauer
Die Kraftausdauer bezeichnet die Fähigkeit des Sportlers, bei gegebenen Wiederholungen bzw. einer gegebenen Belastungsdauer die Abnahme der Kraftstöße so gering wie möglich zu halten. Die Kraftausdauer kann in statische und dynamische Kraftausdauer unterschieden werden:
- Statische Kraftausdauer: Eine bestimmte Kraft/Last muss über eine gewisse Zeit gehalten werden, zum Beispiel beim Kreuzhang an den Ringen.
- Dynamische Kraftausdauer: Beschreibt die Fähigkeit die Reduktion der Kraftstöße über eine Zeitdauer entweder in konzentrischen Situationen oder in exzentrisch-konzentrischen Situationen (Dehnungs-Verkürzungs-Zyklen) möglichst gering zu halten.
Es sind noch weitere Einteilungsmöglichkeiten der Kraftausdauer in der Literatur zu finden. Einen Überblick geben Abbildungen 5 und 6.
Abbildung 5: Einteilung der Kraftausdauer nach der Energiebereitstellung
Abbildung 6: Einteilung der Kraftausdauer nach Intensitätsbereichen
3. Schnellkraft
In vielen sportlichen Situationen (zyklisch und azyklisch) ist es wichtig den eigenen Körper bzw. ein Sportgerät in kurzer Zeit mit einem hohen Krafstoß bzw. Impuls zu versehen. Diese Fähigkeit wird als Schnellkraftfähigkeit bezeichnet. Im Unterschied zu Schnelligkeitsleistungen ist bei schnellkräftigen Tätigkeiten ein (mehr oder weniger) hoher äußerer Widerstand gegeben. Die Maximalkraft hat deshalb einen großen Einfluss auf die Schnellkraftfähigkeit.
Der Schnellkraftindex (SKI) beschreibt die Beziehung zwischen dem erreichten Kraftmaximum und der für das Erreichen des Kraftmaximums benötigten Zeit, es gilt: SKI = Fmax : tmax
Es kann zwischen 2 Komponenten der Schnellkraft unterschieden werden (1):
- Startkraft
3.1 Startkraft
Die Startkraftfähigkeit beschreibt die Fähigkeit in der Anfangsphase einer Muskelkontraktion einen hohen Kraftanstieg zu bewirken (1). Die im Hinblick auf die Startkraft relevante Zeitdauer beträgt 30 ms ab Beginn der Bewegung/Muskelkontraktion. Das heißt, die Startkraft entspricht dem Kraftwert der nach 30 ms realisiert wurde. Anders ausgedrückt kann die Startkraft über die Steilheit des Kraftanstiegs zu Beginn der Bewegung charakterisiert werden (siehe Abbildung 7).
3.2 Explosivkraft
Der steilste Punkt in der Kraft-Zeit-Kurve (mathematisch: Tangente im Wendepunkt) entspricht der Explosivkraft (EK). Es handelt sich also um die maximale Kraftentwicklungsrate, sodass gilt: EK = ΔF/Δt
Abbildung 7: Komponenten der Schnellkraft
4. Reaktivkraft
Bei reaktiven Krafteinsätzen geht einer konzentrischen Muskeltätigkeiten eine exzentrische Muskelanspannung voraus, man spricht vom sogenannten Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus (DVZ; Abbildung 8). Folglich kann die Reaktivkraft als diejenige Fähigkeit des neuronalen Systems und des Muskel-Sehnen-Systems bezeichnet werden, innerhalb eines DVZ einen möglichst hohen Kraftstoß bzw. Impuls zu erzeugen.
Es gibt 2 Arten von DVZ:
- kurzer DVZ: <200ms, Beispiel: Abwürfe, Abdruckphasen beim Sprint, Absprung im Weitsprung
- langer DVZ: >200ms, Beispiel: Absprünge mit Ausholbewegungen (Volleyball)
Reaktive Krafteinsätze sind also besonders bei Lande-und Ausholbewegungen wichtig. Eine Besonderheit dieser Art des Krafteinsatzes ist, dass der konzentrischen Muskelaktion eine Bremsbewegung vorausgeht. Durch diese vorgeschaltete Bremsbewegung (exzentrische Muskelanspannung) kann mehr Kraft entwickelt werden als durch eine konzentrische Muskelkontraktion alleine. Es wird sozusagen eine Anfangskraft erzeugt. Die Gründe für ein erhöhtes Kraftpotential im DVZ sind (1):
- Voraktivierung der Muskulatur
- Muskeldehnungsreflex
- Golgi-Sehnenreflex
- Vorteil der isometrischen Phase im Übergang zwischen exzentrischer und konzentrischer Phase
- Speicherung der Energie aus exzentrischer Phase in Muskeln und Sehnen und anschließende Ausnutzung für die konzentrische Phase
Abbildung 8: Schematische Darstellung eines Dehnungs-Verkürzuns-Zyklus (DVZ)
Quellen
1 Schnabel, G., Krug, J., & Harre, H. D. (2016). Trainingslehre-Trainingswissenschaft: Leistung-Training-Wettkampf. Meyer & Meyer.
2 Güllich, A., & Krüger, M. (Eds.). (2013). Sport: das Lehrbuch für das Sportstudium. Springer-Verlag.
3 Bührle, M. (1985). Grundlagen des Maximal-und Schnellkrafttrainings. Schorndorf: Spektrum der Sportwissenschaft.
4 Komi, P. V. (1994). Der Dehnungs-Verkürzungszyklus. Kraft und Schnellkraft im Sport. Köln. Deutscher Ärzte Verlag, 173-82.